Vom grauen Nashorn als Risikofaktor

Naturkatastrophen, Wirtschaftskrisen, ausfallende Lieferketten, Hackerangriffe, Staatspleiten, Strafzölle, Pandemien oder sich verschärfende Gesetzesänderungen. Das Panoptikum der Risiken kennt in unserer modernen Welt scheinbar keine Grenzen. Was dagegen endlich erscheint, ist die Aufnahmefähigkeit der Menschen, rational mit Gefahren umzugehen. Und da in Unternehmen immer noch Menschen arbeiten, die Dinge selektiv wahrnehmen, und es trotz allerlei moderner Analyse- und Vorhersagemöglichkeiten zum „Fall der Fälle“ kommen kann, braucht es Erklärungen. Sprich: Frühwarnsysteme.
Unerwartet oder grosse Wahrscheinlichkeit
Rückblick: 11. September 2001. Als an diesem Tag zwei Flugzeuge in die Zwillingstürme des Word Trade Center in New York rasten und die beiden Türme zum Einsturz brachten, war die Welt geschockt. Fast 3'000 Menschen starben infolge des Terroranschlags, Börsen und US-Dollar brachen ein und die USA wurden von einem kollektiven Trauma erfasst. Kein Krisenexperte, kein Sicherheitsberater, kein Geheimdienstmitarbeiter konnte einen solchen Anschlag voraussehen, bei dem Passagierflugzeuge schlicht als Waffe eingesetzt werden. Zwar verübten japanische Soldaten im Zweiten Weltkrieg Selbstmordangriffe auf ihre Gegner mithilfe des eigenen Kampfflugzeugs. Doch Linienmaschinen zu kapern und diese bewusst auf Ziele zu steuern – das war nicht in den Risikoszenarien der US-Administration festgeschrieben. Im Umkehrschluss bedeutete 9/11 ein „Schwarzer Schwan“, also ein seltenes und zugleich unerwartetes Risikoereignis für die Politik, Wirtschaft und Wissenschaft gleichermassen.
11 Jahre später: „Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vom 30. November 2012 erkrankten weltweit neun Menschen an dem erstmals bei einem im Juni 2012 verstorbenen Patienten aus Saudi-Arabien nachgewiesenen neuartigen Coronavirus.“ Diese Meldung wurde 2012 vom Robert Koch-Institut verbreitet, nachzulesen im „Epidemiologischen Bulletin“, Ausgabe vom 10. Dezember 2012/Nr. 49.
Und die vom Deutschen Bundestag in der „Drucksache 17/12051“ beschriebene Risikoanalyse „Pandemie durch Virus Modi-SARS“ vom 3.01.2013 kommt unter anderem zu folgendem Ergebnis: „Zum Höhepunkt der ersten Erkrankungswelle nach ca. 300 Tagen sind ca. 6 Millionen Menschen in Deutschland an Modi-SARS erkrankt. Das Gesundheitssystem wird vor immense Herausforderungen gestellt, die nicht bewältigt werden können.“ Und weiter heisst es: „Das Besondere an diesem Ereignis ist, dass es erstens die gesamte Fläche Deutschlands und alle Bevölkerungsgruppen in gleichem Ausmass betrifft, und zweitens über einen sehr langen Zeitraum auftritt.“ Das heisst: Bereits vor knapp zehn Jahren war der Politik und Wissenschaft bekannt, dass es zu einer pandemischen Lage grossen Ausmasses kommen kann. Für Unternehmen sollten solche Risikoanalysen zur Pflichtlektüre gehören, um derartige Risiken in ihr Berichtswesen aufzunehmen und die notwendigen Schlüsse aktiv daraus zu ziehen.
Anders formuliert könnte es auch heissen: Wissend darum, dass eine Pandemie ausbrechen kann, wäre es für Unternehmen ratsam gewesen, ein solches Risiko in das eigene Frühwarnsystem zu übernehmen. Denn anders als bei einem „Schwarzer Schwan“ handelt es sich hierbei um ein Ereignis, das zwar selten, aber mit grosser Wahrscheinlichkeit irgendwann eintrifft.
Vom grauen Nashorn in der Organisation und dem Blick nach vorne
Und so ist es geschehen und plötzlich stand das graue Nashorn in Form von Covid-19 bei vielen Unternehmen nicht nur vor der Tür, sondern mitten in der Organisation. Denn das mögliche Eintreten einer weltweiten pandemischen Situation war beispielsweise anhand politischer und versicherungswirtschaftlicher Risikoanalysen bekannt und galt bei Experten als wahrscheinlich. Nur wurde das Risiko eines grauen Nashorns mit einer hohen Eintrittswahrscheinlichkeit in vielen Risikoanalysen von Unternehmen vernachlässigt. Somit war die Corona-Pandemie kein Schwarzer Schwan, der unvorhersehbar, als seltenes Ereignis eintritt. Die Folgen des Eintretens der Corona-Pandemie waren ein Scherbenhaufen und reichten von Produktionsstillständen über massive finanzielle Verluste bis hin zu Insolvenzen.
Weitere graue Nashörner zeigen sich unter anderem in Form von Naturkatastrophen, Bankenpleiten und Finanzskandalen. Im Grunde heisst das für das Risikomanagement in den eigenen Reihen, diese Risikofaktoren nicht zu übergehen. Zu empfehlen ist, diese gezielt in den kompletten Vorhersage-, Überwachungs- und Steuerungsprozess der eigenen Organisation zu integrieren. Damit geht auch der Blick nach vorne einher, um potenzielle Risiken frühzeitig zu identifizieren und das eigene Unternehmen sicher durch Krisen zu führen. Hierzu gehört es, mögliche negative Domino-Effekte im Markt zu unterbrechen, als Organisation nicht selbst umzufallen und damit Zeit zu gewinnen. Das wahrt die Chancen, um beispielsweise die Produktion am Laufen zu halten, alternative Lieferanten schnell zu aktivieren oder mögliche finanzielle Ausfälle solide zu kompensieren.
In Summe hat das viel mit guter Führung zu tun und damit, Abhängigkeiten sowie komplexe Organisationsstrukturen aufzulösen und dafür Sorge zu tragen, dass das eigene Unternehmen handlungsfähig bleibt. Handeln Unternehmen in diesem Sinne, handeln sie vor allem nachhaltig. Denn am Ende geht es vor allem darum, nicht überrascht zu werden von einem grauen Nashorn als Risikofaktor, das frühzeitig sichtbar war.
An dieser sensiblen Nahtstelle entdecken wir von ARISCO Chancen in Risiken. Denn die aktuelle Covid-Pandemie bringt auch Chancen hervor. So bieten wir unter anderem ein professionelles „Krisen-Coaching“ für Unternehmen an. Damit unterstützen wir Organisationen dabei, Krisen besser zu meistern und gleichzeitig neue Impulse für die unternehmerische Zukunft zu setzen.
Apropos Zukunft: In unserem kommenden Beitrag folgen wir der Spur der Tiere als Metapher im Wirtschaftsumfeld weiter und kommen vom grauen Nashorn zur „lahmen Ente“. Diese lässt sich verhindern – mit einem aktiven Chancenmanagement als Werttreiber für Unternehmen.
Quellen:
https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2012/Ausgaben/49_12.pdf?__blob=publicationFile
https://dserver.bundestag.de/b...
https://www.arisco.ch/aktuell/...
Ihre Ansprechperson:

Robert Ebel
Partner / Marktgebietsleiter / International Desk Manager
Executive MBA (UZH)
CAS in Insurance Broking