Wieso sinkt die Lebensdauer von Unternehmen? Oder was robuste Firmen anders machen.

Interessant ist bei einem genaueren Blick, dass Unternehmensschieflagen oder -insolvenzen immer wieder ähnlichen Mustern folgen. Zur Erhöhung der "Unternehmens-Gesundheit" ist es daher klug, wenn sich Unternehmen präventiv mit den Treibern für Schieflagen oder Insolvenzen näher beschäftigen und noch wichtiger diese aktiv mit Massnahmen reduzieren oder gar eliminieren. Hierbei stellt sich vor allem die Frage, welchen Mehrwert ein präventives und wirksames Risikomanagement spielen könnte. Eine Studie der Schweizer Ökonomen Probst und Raisch hat bereits vor einigen Jahren aufgezeigt, dass Unternehmensschieflagen einer einheitlichen Logik des Niedergangs folgen. Die Ökonomen widmeten sich der Frage, wieso gerade Unternehmen, die jahrelang zu den erfolgreichsten und angesehensten zählten (siehe beispielsweise Kodak, GM oder Nokia), so häufig in Schwierigkeiten geraten. Als Basis ihrer Analyse haben die Ökonomen 100 Unternehmenskrisen analysiert. Eine erste Analyse ergab, dass mehr als die Hälfte der untersuchten Unternehmen bis zum Zeitpunkt ihres Niedergangs ausgesprochen erfolgreich waren. Nicht selten agierten sie hochprofitabel als Marktführer in ihrer jeweiligen Branche. Und dann folgte der tiefe Absturz. An diesem Muster hat sich bis heute nur wenig geändert.
Was sind die Ursachen für Unternehmenspleiten?
Wieso folgt so häufig auf den wirtschaftlichen Erfolg ein massiver Niedergang? Oder muss man nicht eher von einer schönen Fassade sprechen, während im tiefen Inneren die schwachen Signale einer strategischen Krise längst sichtbar waren – aber bequemerweise ignoriert wurden?
Alle untersuchten Insolvenzen der beiden Ökonomen haben gezeigt, dass der Absturz in allen Fällen "hausgemacht" und alles andere als unvermeidbar war. Es waren eben gerade nicht die sogenannten "Schwarzen Schwäne", d.h. Ereignisse, die völlig unwahrscheinlich und gänzlich überraschend eingetreten sind und Unternehmen in den Ruin geführt haben.
Vielmehr können zwei verschiedene Ausprägungen unterschieden werden. Die eine Ausprägung nennen die Ökonomen "Burnout-Syndrom" und die andere wird als "Premature-Aging-Syndrom" bezeichnet.

Abb.: Während die Lebenserwartung der Menschen steigt, sinkt die der Unternehmen [Quelle: Frank Romeike/RiskNET basierend auf S&P Data und OECD Data / World Bank Data]
Entweder "Ausbrennen" oder "vorzeitiges Altern"
Bei rund 70 Prozent der von den Ökonomen untersuchten Unternehmen lässt sich der Niedergang auf das "Burnout-Syndrom" zurückführen. Dieses Syndrom ist vor allem durch vier Ursachen gekennzeichnet. 1. Ein Niedergang folgt häufig auf eine Phase extremer Expansion. 2. Das hohe Wachstum führt früher oder später zur Sättigung des ursprünglichen Marktes. Um weiter zu wachsen, diversifizierten die Unternehmen in neue Märkte und Produkte/Dienstleistungen. Diese Expansion führt nicht selten zu einer höheren Komplexität und vor allem zu einer steigenden Unruhe in der Organisation. Erwartete Synergien werden vom Management propagiert – aber lassen sich vielfach nicht realisieren. In der Konsequenz litt häufig das Kerngeschäft und das Unternehmen verlor letztendlich seine Identität. 3. Die beiden ersten Treiber sind nicht selten verknüpft mit dominanten, nahezu autokratisch herrschenden Chefs, die nach "Gutdünken" walten und schalten, so die Ökonomen. Als 4. Treiber zählt eine überzogene Erfolgskultur.
Probst und Raisch fassen die Ursachen des "Burnout-Syndroms" kompakt zusammen:
"Zusammenfassend lassen sich die vier beschriebenen Faktoren als Symptome derselben Krankheit einordnen, die wir Burn-out-Syndrom (oder Ermüdungssyndrom) genannt haben. Ein übertrieben ehrgeiziger Vorstandschef überlastet durch exzessives Wachstum und unaufhörlichen Wandel die Organisation auf Dauer so sehr, dass diese schlicht ausbrennt. Geschwächt durch hohe Schulden, wachsende Komplexität und anhaltende Unsicherheit, bricht das System im Extremfall in sich zusammen."
30 Prozent der Unternehmenspleiten lassen sich auf das sogenannte "Premature-Aging-Syndrom" zurückführen. Hierfür lassen sich drei primäre Treiber identifizieren:
Erstens: Die Unternehmen verzeichnen stagnierende Umsätze. Der Niedergang der analysierten Unternehmen ist im Kern auf ein starres Festhalten an einer zunehmend veralteten Erfolgsformel zurückzuführen. Starke Kräfte im Unternehmen blockieren jegliche Veränderungen. So kämpfen Entscheider mit der Situation, dass ein großer Anteil des Umsatzes auf dem traditionellen Geschäftsfeld generiert wird (bspw. analoge Filme bei Kodak), obwohl das Marktsegment substituiert wird. Und dies ist umso erstaunlicher, als dass die Unternehmen parallel Innovationen entwickeln (siehe Kodak, die hochinnovativ waren und u.a. die digitale Fotografie entwickelt hatten und über entsprechende Patente verfügten) und sich das Management trotzdem auf das traditionelle Kerngeschäft fokussiert.
Zweitens: Ein weiterer Treiber liegt im Führungsstil. Häufig steht ein Chef an der Spitze des Unternehmens, der – durch vergangene Erfolge bestätigt – zunehmend starr an seinen Gewohnheiten festhält ("Das haben wir immer so gemacht!")
Drittens: Interessant ist bei diesem Syndrom vor allem, dass die Unternehmen durch eine angenehme, auf Loyalität und Vertrauen angelegte Unternehmenskultur gekennzeichnet sind. Doch es gibt eine Schattenseite einer solchen Kultur, die oft als Frühwarnindikator nicht betrachtet wird: Das Management vermeidet notwendige Einschnitte beim Personal und eine Neuausrichtung der Strategie. Unternehmen vergessen, den "Reset-Knopf" zu drücken und noch einmal neu zu denken.
Probst und Raisch fassen die Ursachen des "Premature-Aging-Syndroms" kompakt zusammen:
"Zusammengefasst können wir bei der zweiten Gruppe von Unternehmen – durch das Fehlen von Wachstum und Wandel – ein vorzeitiges Vergreisen feststellen, das wir als Premature-Aging-Syndrom bezeichnen. Das Management ignoriert Veränderungen zunehmend, bis das Unternehmen in eine Schieflage gerät"
Frühwarnindikatoren sollten unbedingt beachtet werden
Ein Blick in die Praxis zeigt, dass sehr häufig schwache Frühwarnsignale nicht erkannt oder schlicht ignoriert werden. Hierbei fällt auf, dass Manager oft viele kleine Aspekte auf dem Radar haben, aber eher unzureichend die großen und strategischen Themen. Eine Analyse von Unternehmensinsolvenzen weltweit zeigt immer wieder massgebliche Einflussfaktoren, mit denen sich Unternehmen auch über ihre Risikofrüherkennungssysteme beschäftigen sollten. So sollte die eigene strategische Ausrichtung des Unternehmens regelmäßig kritisch hinterfragt werden. Welche Rolle werden etwa disruptive Entwicklungen auf das Geschäftsmodell des Unternehmens haben.
Ein historisches Beispiel liefert uns die Entwicklung des einzigen Siebenmastschoners der Welthandelsflotte, der Thomas W. Lawson. Es war zur damaligen Zeit das größte je gebaute Segelschiff ohne Hilfsantrieb, der größte je gebaute Schoner und der einzige Siebenmaster überhaupt. Und doch war das Schiff kein Erfolg. Denn die Entwickler hatten die bereits vorhandenen Frühwarnsignale der aufkommenden Motorschiffe ausgeblendet.
Ein weiterer Treiber für Unternehmensschieflagen liegt in einer zunehmenden Intransparenz (siehe Wirecard). Mit zunehmender Intransparenz der Geschäfte eines Unternehmens und seiner Strukturen nimmt auch die Effizienz von Kontrollen ab. Zusätzlich fördert Intransparenz das absichtliche Verdecken von Fehlern.
Außerdem gilt es das Risikobewusstsein jedes einzelnen Mitarbeiters zu fördern. Dazu bedarf es einer entsprechenden Unternehmenskultur, die nur über Jahre hinweg aufgebaut werden kann. Insbesondere bei sehr erfolgreichen Unternehmen lässt die Unternehmenskultur tendenziell ein Bewusstsein für mögliche Fehlentscheidungen und Risiken vermissen. Kommt dann eine Fixierung auf Einzelpersonen wie den Unternehmensgründer beziehungsweise dem Verwaltungsrat hinzu, ist der Chef vielleicht noch selbstherrlich und das Management schwach, so Probst und Raisch, so besteht die Gefahr, dass eine überzogene Erfolgskultur entsteht und dass sich realisierende Risiken gar nicht oder erst viel zu spät in die Entscheidungsgremien vordringen. Ein adäquates Management der Risiken ist dann kaum möglich oder kommt zu spät.
Unternehmen sollten Risikokompetenz ausbauen
Unternehmerische Tätigkeit ohne Risiko gab es noch nie und wird es auch nie geben. Und das ist auch gut so. Doch wer Chancen – als die Kehrseite von Risiko – ergreift und Risiken seriös bewerten und steuern kann, ist für die Zukunft besser gewappnet. Hierbei spielen auch Frühwarnindikatoren und schwache Signale eine wichtige Rolle.
Hierbei sollte man auch das graue Nashorn ("grey rhino") auf dem "Unternehmens-Radar" haben. Hiermit werden Gefahren bezeichnet, die sich langsam bewegen, offensichtlich sind und dennoch bequemerweise ignoriert werden. Wenn man derartige graue Nashörner ernst nimmt, könnte die Lebenserwartung und Robustheit von Unternehmen ganz wesentlich erhöht werden.
Gerne unterstützt Sie ARISCO beim Auf- und Ausbau Ihrer individuellen Risikokompetenz. Wir freuen uns, auf Ihre Kontaktaufnahme!
Ihre Ansprechperson:

Robert Ebel
Partner / Marktgebietsleiter / International Desk Manager
Executive MBA (UZH)
CAS in Insurance Broking